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„Das Gedaechtnis [ist] kein anonymes Archiv, das dauernd ergaenzt [...] und in einer Art Registratur aufbewahrt wird. Es ist auch kein Ordner, der die Ereignisse sortiert und festhaelt oder, wie Nietzsche sagt, mumifiziert. Es ist im Gegenteil eine sich dauernd veraendernde, eminent lebendige individuelle und geistige Realitaet." 1

 

Intro
Selektive Erinnerung, Vergessen, Projektion verschiedener Erinnerungen auf einen zeitlichen Kontext, Vermengung, Verdraengung und abstruse Assoziation sind Eigenschaften unseres Gedaechtnisses, die in starkem Kontrast zur praktisch fehlerlosen Speicherung von Daten am Computer stehen.

Aus biologischer Sicht definiert sich eine Gedaechtnisspur als dauerhafte, einen Aspekt einer vergangenen Erfahrung repraesentierende Veraenderung des Gehirns.

Waehrend etwa im Mittelalter davon ausgegangen wurde, dasz Erinnerungen in den Fluessigkeiten der Gehirnkammern abgelegt werden, glaubte Descartes an eine feste Substanz des Gehirnes als Sitz unseres Gedaechtnisses. In Folge der Entdeckung von RNA/DNA kam die Vermutung auf, die menschliche RNA mit ihrer Faehigkeit zur Speicherung von Information koennte als Basis fuer das menschliche Gedaechtnis dienen. Wenig spaeter fand man heraus, dasz die Nukleinsaeuren (RNA) zwar an der Herausbildung von Erinnerungen beteiligt sind, aber nicht den eigentlichen Sitz des Gedaechtnisses bilden. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft liegt das biologische Substrat des Gedaechtnisses in den dauerhaften Veraenderungen der synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen des Gehirns.

 

Wie kommt nun so eine Gedaechtnisspur zustande? Ein Reiz fuehrt zur Aktivierung von Neuronengruppen, zu sogenannten Zellversammlungen.  „Die Aktivitaet dieser Zellversammlung bewahrt so lange eine Repraesentation des dargebotenen Reizes, bis die Herausbildung einer dauerhaften Spur abgeschlossen ist. “ 2

Der Prozess der Veraenderung von Neuronen zur Herausbildung neuer Erinnerungen wird Konsolidierung genannt. Unser menschliches Gehirn ist deshalb zu derartig komplexen Intelligenzleistungen faehig, weil die Nervenzellen im Gehirn untereinander sehr eng vernetzt sind. Nervliche Impulse werden ueber Neurotransmitter von einer Zelle zur anderen weitergegeben. Dies ist ein Prozeß, an dem mehrere Speicher beteiligt sind. Die urspruengliche Fixierung vollzieht sich zwar relativ schnell, darauf folgt aber eine gruendliche Konsolidierung, bei der neue Gedaechtnisspuren mit bereits existierenden Erinnerungen vernetzt werden.

Ziel meiner Arbeit „gedaechtnisspuren“ ist es, ein Gedaechtnis für das Internet zu kreieren, das wesentliche Momente der menschlichen Erinnerung verkoerperlicht. Kann es eine einheitliche Dynamik unter den Inhalten der Benutzer geben, die gleich einer starken Emotion im Menschen den gesamten Erinnerungsraum in einem Augenblick ausfuellt, um ihn im naechsten Moment wieder der Zerstreutheit preiszugeben? Welche Assoziationen ergeben sich zwischen den verschiedenen Benutzern und was sind die Leitgedanken?

Mit einem Memory-Server im Zentrum des digitalen Nervensystems soll eine adaequate Repraesentation des Datenstroms ermoeglicht werden. Die Teilnehmer des Netzwerkes uebermitteln ihre Erinnerungen an dieses globale Gehirn, welches den Erinnerungsraum fuer die gespeicherten Erinnerungsbruchstuecke darstellt. Dabei werden redundante Informationen geloescht, Assoziationsketten aufgebaut und kumulative Ansichten erstellt, die einer Reflexion über kuerzlich Geschehenes gleichkommen.