Wer einen geschichtlichen Rueckblick wagt, kann  die Entwicklung und Verwendung externer Speicher in der Kulturgeschichte des Menschen anhand mehrerer Meilensteine festmachen: die erste Phase der oralen Kulturen, gefolgt von der Entwicklung der Schriftkultur, der Erfindung der Fotografie und schlieszlich dem Gebrauch des Computers als Speichermedium.

In der ersten Periode der oralen Kulturen standen externe Speicher zur Sprachkonservierung nicht zur Verfuegung. So muszte ein Groszteil des allgemeinen Wissensgutes in die biologischen Gedaechtnisse der Menschen eingeschrieben werden. Wollte man das zwangslaeufige Vergessen verhindern, muszte auf rituelle, periodisch stattfindende  Wiederholungen zurueckgegriffen werden.

Es entstaende allerdings ein verzerrtes Bild, wuerde man diese Gesellschaften auf die 'Oralitaet' reduzieren. Selbstverstaendlich naemlich war - auszerhalb des Bereichs der Sprache - eine grosze Zahl externer Speicher verfuegbar: Monumente, Bildwerke, die kultivierte Landschaft, die Bauweisen und die Produktionstechniken, all dies externe Speicher gesellschaftlichen Wissens, die mit den sprachlichen Diskursen und den praktisch-institutionellen Wiederholungen auf komplizierte Weise verwoben sind, und selbst einen unmittelbaren Einflusz auf die Gedaechtnisse ausueben. 12

Die  zweite Phase waere jene der Schriftkulturen. Die genannten externen Speicher werden von der Tatsache unterstuetzt, dasz nun auch sprachliche Ereignisse ueber die Gegenwart hinaus konserviert werden koennen. Folglich kommt es nun erstmalig zu einer Art Konkurrenzsituation zwischen menschlichem Gedaechtnis und externen Speichern kommt.

Den Theorien Friedrich Kittlers (13) folgend laeszt sich als Drittes die Entwicklung des technischen Bildes oder allgemeiner formuliert, der „Realaufzeichnungen“, festmachen. Fotografie, Film und Tonaufzeichnung waren dadurch gekennzeichnet, dasz anstelle von Symbolen nun Spuren realer Ereignisse bevorzugte Gegenstaende der Aufzeichnung waren.

 

Mit der Erfindung des Computers und dessen Integration in den alltaeglichen Gebrauch existiert zum ersten Mal ein Medium, welches sowohl die Techniken des Schreibens als auch jene des Lesens und Speicherns beherrscht.

Der Frage, welche ihrer Funktionen die Gedaechtnisse an die Speicher delegieren, waere die gleichrangige Frage an die Seite zu stellen, wie die Inhalte und Strukturen in die empirischen Gedaechtnisse hineingelangen und welcher aeuszeren Einwirkung die Gedaechtnisse ihre Form verdanken. Ein zweiter Vorteil waere, dasz der Begriff der Interaktion selbst sich veraendert: nicht mehr der einzelne Mensch steht der einzelnen Medienmaschine gegenueber, sondern das einzelne Gedaechtnis interagiert mit dem intersubjektiven Raum, in dem die materiellen Speicher zu einer Art Landschaft zusammenruecken. 14

Das www, ein kollektives Gedaechtnis
Verglichen mit dem menschlichen Gedaechtnis weist das Internet ein noch beeindruckenderes Potential auf, permanent sich vermehrende Gedaechtnisinhalte aufzunehmen, deren Verbindungen in weiterer Folge den Assoziationsreichtum exponentiell staerken. Im Zeitalter der digitalen Speicherung ist das Beduerfnis des Menschen, moeglichst jede Erinnerung und alles Wissen zu konservieren, groeszer denn je, eine Konsequenz der Wissens- und Informationsgesellschaft, in der wir heute leben. In Anlehnung an Wittgenstein ist es naheliegend, zu behaupten, dasz wohl bald nur mehr das existieren wird, was auch im Web zu finden ist.

Wissen braucht nicht mehr im menschlichen Gehirn gespeichert zu werden, es kann in Cybernetzen abgelegt werden. Entscheidend fuer die Erinnerung sind hierbei Kontexte und Adressen. Da die meisten Menschen nicht ueber ein fotografisches Gedaechtnis verfuegen, bietet die Interaktive Enzyklopaedie nicht nur eine Gedaechtnisstuetze sondern es wird Teil des Gedaechtnis des Subjekts, und es formt ein kollektives Gedaechtnis. Das Besondere an diesem Gedaechtnis ist, dasz es keinen Raum mehr benoetigt und die Zeit zur Echtzeit zusammenschrumpfen laeszt. Damit entfaltet sich ein Lexikon, das