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Das menschliche Gedaechtnis
Der Sitz des Gedaechtnisses ist das Gehirn, es besteht aus Milliarden von Neuronen (Nervenzellen), welche im Zusammenspiel mit ihren 100 Billionen synaptischen Verbindungen einen unendlich dynamischen Raum an Moeglichkeiten bieten. Die Staerke dieser Verbindung zwischen zwei Neuronen kann deutlich variieren. Das Gesamtmuster der Verteilung und Staerke der Synapsen legt die charakteristischen Merkmale jedes Individuums fest. Durch die Uebermittlung von Nervenimpulsen kommunizieren die Neuronen untereinander, sie  „feuern“.  Impulse werden mit Hilfe von Neurotransmittern weitergegeben.

In der Entwicklungsphase eines Kindes werden die Staerken der Verbindungen, d.h. die Gewichte, immer weiter optimiert. Teilweise sind diese durch Vererbung bereits vorkonfiguriert, in weitaus staerkerem Masze werden sie jedoch von den individuellen Erfahrungen des Kindes gepraegt. Wenn nun also die gundsaetzlichen und konstanten Eigenschaften unserer Umwelt in relativ dauerhaften Mustern synaptischer Verbindungen gespeichert werden, stellt sich die Frage, wie wir mit fluechtigen Eindruecken und Wahrnehmungen umgehen. Diese temporaeren Prozesse werden „durch die veraenderlichen Aktivitaeten in den Nervenzellen des Gehirns repraesentiert.“ 5

Wie bildet sich nun aus vielen Einzelinformationen unser Gedaechtnis? Bei der Bildung des Gedaechtnisses und beim Vergessen spielt eine schlauchfoermige Struktur im Gehirn eine grosze Rolle, der Hippokampus. Hier flieszen die Informationen verschiedenster sensorischer Systeme zusammen; der Hippokampus fungiert sozusagen als Schaltstelle zur Ueberfuehrung von Inhalten vom Kurzzeit- ins Langzeitgedaechtnis und entscheidet ueber die Bildung einer Gedaechtnisspur. Damit wir uns erinnern koennen, muessen Episoden aus unserem Leben immer wieder durchgespielt werden. Der Hippokampus ist auch der Sitz unseres autobiographischen Gedaechtnisses, d.h. persoenliche, emotionale Erinnerungen werden hier zumindest voruebergehend abgelegt. Unser Stirnhirn, der praefrontale Cortex hingegen ist dafuer zustaendig, Neues mit vergangenen Erfahrungen abzugleichen. Dabei wird Unwichtiges zurueckgedraengt und Relevantes zu neuen Bildern zusammengesetzt.

 

Die physiologische Entsprechung eines Gedaechtnisinhaltes – ihre Repraesentation – verteilt sich auf weit verzweigte neuronale Netze von hoechster Komplexitaet. Jeder Gedaechtnisinhalt entspricht einem einzigartigen raeumlich-zeitlichen Aktivitaetsmuster untereinander verbundener Neuronen. 6

Das wird Langzeitpotenzierung genannt. Der Effekt der derselben ist empirisch gut belegt. Man weisz inzwischen, dass dabei sowohl die Botenmolekuele an den Kontaktstellen als auch Veraenderungen des Zellstoffwechsels durch das "Umlegen" genetischer Schalter eine Rolle spielen. Wahrscheinlich kommt es bei diesem Prozess sogar zu physischen Veraenderungen der Zelle selbst.

Man kennt allerdings ebenso den umgekehrten Vorgang: dass sich eine Verbindung zwischen Nervenzellen, die nicht aktiviert wird, mit der Zeit zurueckbildet. Wir vergessen bestimmte Dinge, weil sie von neuen, interessanteren Eindruecken ueberlagert oder gestoert werden und finden somit nur noch schwer Zugang zu alten Informationen. Diese "Langzeitdepression" soll das Vergessen erklaeren, ebenso wie die Langzeitpotenzierung das Erinnern.

Das Gehirn ist ein Hochleistungsorgan. Auf der Grundlage physiologischer Fakten berechnet Manfred Spitzer die vom Gehirn aufgenommene Gesamtmenge von Informationen (Input) mit knapp 100 MegaByte pro Sekunde. Diese ungeheure Menge von Information muss zu Impulsen verarbeitet werden. Sie verlassen das Gehirn zum groeszten Teil und steuern unser Verhalten. Diesen Output gibt Spitzer mit 50 MegaByte pro Sekunde an. (7) Damit wir unser Bewusztsein nicht durch eine Unmenge unstrukturierter Gedaechtnisinhalte ueberlasten, ist das Gehirn auch in der Lage Informationen zu vergessen. Arthur Schopenhauer hat das folgendermaszen auf den Punkt gebracht:

Zu verlangen, dasz einer alles, was er je gelesen, behalten haben sollte, ist wie zu verlangen, dasz er alles, was er je gegessen hat, noch in sich trage. Er hat von diesem leiblich, von jenem geistig gelebt und ist geworden, was er ist. 8